Für Stellas Mitschüler (Zumindest für Timo und Leander) muss heute ein außergewöhnlich schöner Tag gewesen sein. Endlich durften sie auch einmal das tun, was sie sogar bei Frau Harley könnte.
Es war während der Ethikstunde. Nachdem Frau Johnson gemerkt hatte, dass die Sache mit dem Gong und der Klingel wohl doch nicht ganz so gut bei den Schülern angekommen war, entschied sie sich nun für etwas sehr ausgefallenes, was sogar Stella erstaunt hat. Vielleicht sollte es auch wieder nur eine neue Strategie sein, die sie ausprobieren wollte, ob diese nun etwas mehr bewirkte.
Während wieder eine sehr unangenehme Lautstärke im Klassenraum anlag, die nicht die geringste Konzentration zuließ:
»Ich habe jetzt eine tolle Idee für alle, die viel reden.«
Einige wenige Schüler lauschten neugierig.
»Oh, das muss ich jetzt aber wissen. Jetzt ist Partyzeit!«
»Endlich bekommen wir unsere Freistunden!«
»Ich bin auf jeden Fall dabei!«
Voller Vorfreude rutschten Timo und Leander unruhig auf ihren Stühlen hin und her und jubelten.
»Ihr könnt hinaus vor die Tür gehen und weiterquatschen. Eine 6 bekommt ihr dafür nicht. Hauptsache, ihr stört nicht mehr.«
Die Schüler sahen die Lehrerin erstaunt an.
»Wirklich? Auch einen Eintrag nicht?«
Leander wagte sich, als erster etwas dazu zu sagen.
»Wow, das wäre ja echt klasse. Das kann ich ja gar nicht glauben. Bestimmt gibt es da einen Haken an der Sache.«
Die Lehrerin sah ihn ernst an.
»Nein, gar nichts. du bekommst nur einen Partner, der mit dir quatscht und mit dem du Freude daran hast.«
Die Schüler sahen sich gegenseitig an, doch niemand traute sich nun, etwas zu sagen. Es herrschte absolute Ruhe.
»Meiner Meinung nach wäre es doch wirklich die Chance gewesen!«
Die Minuten vergingen.
»Okay, dann werde ich mal rausgehen.«
Timo stand tatsächlich auf und ging zur Tür.
»Warte! Du brauchst doch noch einen Partner!«
Leander rannte ihm hinterher und schon waren die Beiden weg.
Ob sie jetzt dort draußen umhergerannt sind, sich gegenseitig bemalt hatten, mit ihrem Stöckchen gespielt haben oder ob sie einfach nur da gestanden haben, hätte Stella zu gerne gewusst.
»Mir sind die beiden Jungs einfach ein unlösbares Rätsel. Selbst in Physik finden sie es nach wie vor lustig, die Drehstühle so zu verdrehen, dass sie nachher keine Drehstühle mehr sind.«
In den Physik- und Chemieräumen befanden sich Drehstühle, die man auf die passende Höhe einstellen konnte. Praktisch für kleine Schüler oder auch solche, die sich damit gerne die Zeit vertrieben.
»Leander! Dreh deinen Stuhl runter!«
»Wozu?«
»Damit dich der Lehrer nicht sieht.«
Leander stand auf und drehte an seinem Stuhl.
»Geht aber nicht.«
»Doch, du musst dich nur nicht so dämlich anstellen.«
»Ach, sag mir doch gleich, dass ich andersrum drehen muss.«
Leander drehte wie wild und schließlich knallte es.
»Oh, jetzt habe ich wohl den Stuhl kaputt gemacht.«
»Hol dir doch einen Anderen. Es sind genügend da.«
Schnell tauschte er den Stuhl aus und nahm sich einen, der nicht
kaputt war. Der andere würde sofort herunterkrachen, sobald sich jemand darauf setzen würde. Die perfekte Idee für den Nichtsahnenden. Ein wenig später krachte es. Eine Schülerin fiel vom Stuhl.
Der Lehrer war auch alles andere als begeistert:
»Wenn du nicht mal ordentlich sitzen kannst, muss ich dir wohl für die nächste Stunde einen Extraplatz besorgen.«
Timo und Leander lachen.
»Wenigstens treffen diese Sachen nicht mich, ich hätte keine Lust gehabt, den Rest der Stunde auf dem Boden zu sitzen.«
Oder ihre liebsten Spielchen im Chemieunterricht sind auch immer sehr amüsant anzuschauen. Das vertrieb so manche Langeweile.
»Ich bekomme den Brenner nicht an.«
»Stell dich doch nicht so an, Timo!«
Leander nahm die Streichholzschachtel und holte eines hervor.
»Lass mich das mal machen.«
»Nein, war…«
Sein Freund konnte jedoch nicht weitersprechen und schon war es passiert. Die Warnhinweise der Lehrerin schienen ihm wohl entgangen zu sein, dabei hatte er ihr doch noch in der ersten Stunde assistiert – Aber es schon wieder vergessen. Mit einen lauten Rauschen, blitzte es kurz auf und eine Flamme erleuchtete den Raum.
»Tolles Feuer, Leander!«, rief es von weiter hinten.
»Es würde mich nicht wundern, wenn sie schaffen würden, den Raum einmal komplett in Brand zu setzen.«
Geschafft hatten sie es bis jetzt jedoch noch nie und hoffentlich sollte
das auch so bleiben. Nachher musste sich Stella noch eine andere Schule suchen, mit der Begründung, ihre alte sei durch ein Versehen eines Schülers abgebrannt.
In der letzten Hofpause kam Stellas Geschichtslehrer zu ihr und begann, sich mit ihr zu unterhalten. Da sie meistens an der Treppe stand und ein Lehrbuch in der Hand hatte, war sie kaum zu übersehen.
»Na, du lernst ja schon wieder fleißig.«
Er ging langsam zu ihr und sah sich das Buch an.
»Ja, ich mache das gerne in der Hofpause.«
Stella war etwas erstaunt, dass sie nun Gesellschaft bekam.
»Wie sieht es denn mit dir und deinen Mitschülern aus, kommst du mit ihnen zurecht? Ich sehe dich oft alleine in den Pausen.«
»Nunja, mit Marie kann ich mich ganz gut unterhalten.«
»Ich kann dich auch gut verstehen, Du bist auch immer der ruhigste Fleck, der dem Lehrer sofort auffällt, wenn er den Klassenraum betritt. Deine Klasse ist sehr bekannt unter den Lehrern.«
»Ich bin wohl wirklich die Einzige, die sich ruhig verhält ...«
»Sie wissen ja, dass ich auch gut mitarbeiten möchte. Wenn ich so darüber nachdenke, hätte ich auch nicht täglich so viele Themen zum Reden, dass ich sogar die Unterrichtszeit dafür benötige.«
Nun erschienen zwei Mädels aus ihrer Klasse. Darauf hatte er natürlich den passenden Satz parat, um sie wieder zu verscheuchen. Jedoch hätte Stella nie gedacht, dass er sich so ausdrückte.
»Ihr kommt aber immer genau dann, wenn ich mit Stella flirte. Ihr stört uns dabei.«
Er lächelte und die Beiden sahen ihn verwirrt an. Schließlich zogen sie sich entsetzt wieder zurück, ohne auch nur ein Wort zu sagen.
»Da sieht man, dass die Schüler doch auf Lehrer hören können.«
Die Schülerin lachte, wusste allerdings im ersten Augenblick keine passenden Worte dafür.
»Wenn ich das zu hören bekommen hätte, wäre ich ebenso gegangen.
Meine Mitschüler müssen doch tatsächlich denken, ich kenne die meisten Lehrer schon ewig. Selbst für mich ist das alles noch ungewöhnlich. Aber es ist nach wie vor zu schön.«
Ein wenig später, bekam sie neben dem Flirt noch etwas Interessantes
von Frau Harley zu hören:
»Stella, ich weiß gar nicht mehr, was ich mit dir machen soll.«
»Nachdem ich bei Ihnen schon so viel an Aufgaben machen durfte, kann ich das verstehen. Mir würden da schon die Ideen ausgehen, aber ich glaube nicht, dass Sie nichts mehr wissen. Ihnen fällt immer etwas ein!«
»Du kannst natürlich gerne in die Nachhilfestunde kommen. Ich kann dir auch meine ganzen Materialen für Französisch aus meinem Keller vorbeibringen und dann kannst du dort anfangen.«
»Ach, sie meinte diese Sache ... gut, das ist etwas anderes.«
»Ich mag Französisch sehr, aber ich glaube, mit so vielen Dingen werde ich dann nicht fertig. Das ist nicht so einfach.«
»Natürlich, das kann ich auch nicht von dir erwarten, trotzdem freut es mich, dass dir Französisch so viel Freude bereitet. Du kannst demnächst einen Stock an deine Hand kleben und dann nehme ich dich irgendwann mal dran.«
Sie lachte und klopfte ihr auf die Schulter.
»Na toll, dann melde ich mich ja auch in den Pausen, sogar dann, wenn ich es gar nicht möchte und das, weil ich den angeklebten Stock nicht mehr abbekomme ... Nun gut, wenn mich einer fragen sollte, woher das kommt, dann könnte ich antworten: »Ich bin in Französisch so schlecht, dass meine Lehrerin zu mir gesagt hat, ich solle mir einen Stock an die Hand kleben, damit sie mich mal drannimmt und mich nicht in der Ecke vergammeln lässt.«
Vor kurzem, hatte die Klasse für den Deutschunterricht ein Plakat mit selbstgeschriebenen Gedichten angefertigt. Es sah wirklich interessant aus. Alle hatten sich viel Mühe gegeben. Mal etwas ganz Anderes und zugleich Ungewöhnliches als sonst.
Doch es sollte nicht so bleiben, dafür musste eine Bestrafung kommen. Ein wenig seltsam war das schon, wenn sie nichts gut machen durften, dann war klar, dass sie auch nichts gut machen wollen. Das Plakat hing seit einigen Tagen an der Pinnwand direkt neben dem Klassenraum. Wie sich heute nach der Pause jedoch herausstellte, hing es nicht mehr dort. Anfangs dachte Stella, Leander und Timo hätten sich einen Scherz erlaubt und es versteckt, doch damit lag sie falsch.
Die beiden waren viel zu beschäftigt mit ihrem neuen Spiel gewesen: Sie haben das Reiten auf dem Freund entdeckt. Der Eine setzt sich auf die Schultern des Anderen, nimmt den »Emo-Stock« in die Hand und versucht, die Mitschüler zu pieken, während der Andere läuft. Pferd und Reiter sozusagen.
»Lauf schneller, Timo! Ich muss ihn kriegen!«
»Wenn du nicht so schwer wärst, dann würde das gehen!«
»Lauf doch einfach!«, befahl er weiter.
»Ich sagte gerade, ich versuch's!«
»Versuch's jetzt und nicht später!«
»Wir können ja gerne tauschen!«
»Später! Ich muss mein Opfer treffen!«
Für Stella sah das ziemlich dämlich aus, aber die finden das ja nun überhaupt nicht. Es bereitete sehr viel Spaß aus deren Sicht.
Zurück zu der anderen Sache:
Das Plakat lag ein paar Meter weiter und war einmal vollständig in der Mitte durchgerissen. So einen Unsinn hätte nicht einmal Timo alleine geschafft, dafür war er ausnahmsweise zu normal. Das war ziemlich gemein für einige der Schüler. Sie regten sich furchtbar darüber auf.
Frau Johnson, welche zunächst Unterricht mit ihnen hatte, schlug vor, dass drei Schüler während der Hofpause im Raum bleiben durften und es reparieren sollten. Da war natürlich die Freude unter den Schülern (Besonders den Jungen) groß.
»Lassen Sie mich das Plakat kleben!«, rief der Erste.
»Nein, ich möchte!«, meldete sich der Zweite.
»Ich habe mich heute oft gemeldet, daher habe ich das verdient!«
»Bitte, ich bin doch so genial im Plakate kleben!«
Es brach eine laute Diskussion aus, bei der man nicht mehr verstehen konnte, wer und was er nun sagte. Die meisten Jungen wollten gerne im Klassenraum bleiben und nicht etwa das Plakat kleben, sondern Papierflieger aus dem Fenster schmeißen.
Vielleicht wollten sie sich aber auch gegenseitig mit ihren so tollen Laserpointern nerven. Im Unterricht spielten sie neuerdings damit Rennen oder sie suchten sich einen Schüler und bepunkteten ihn (Indem sie ihn blenden). Kein Wunder, wenn manche sich beklagten, dass sie im Unterricht nichts mehr erkennen können. Der Grund: Erblindung durch Laserstrahlung.
Den Mädchen war das so ziemlich egal. Ob sie nun auf dem Hof oder in einem Raum plauderten, wo liegt denn da schon ein Unterschied? Die Lehrerin musste sich dies dann auch gedacht haben, denn sie beauftragte Stella mit zwei Jungen, das Plakat zu kleben. Somit war die Diskussion beendet und die Freude, im Raum bleiben zu können, erloschen.
Es hat sogar ganz ohne die »Klingel« oder »Gong« Technik funktioniert. Jedenfalls blieb die Schülerin nun mit den Beiden im Raum und machte sich an die Arbeit. Für sie war die Sache nun ganz einfach (Gelöst in drei Schritten):
1. schnell einen Klebebandstreifen abschneiden
2. die Teile zusammenlegen
3. kleben
Doch für die beiden Artgenossen sah das wohl so aus
(Gelöst in zehn Schritten):
1. alle Kumpel nach Klebeband befragen
2. überlegen, was man tun sollte
3. Stella nach Schere fragen (Nachdem die Kumpel auf den Hof hinaus mussten)
4. Klebebandstreifen abschneiden
5. Klebebandstreifen zum Testen verkleben
6. neuen Klebebandstreifen abschneiden
7. die Teile zusammenlegen
8. schief zusammenkleben
9. nochmal auseinandernehmen
10. kleben
»Wow, sind die was von schnell! Das ist ja unglaublich! Das müsste doch glatt ins Buch der Rekorde eingehen!
... da geht wohl eher das »Lehrer in den Wahnsinn treiben« ein.«